Ruf nach mehr Mieterschutz

veröffentlicht am 24. Februar 2020

Großes Interesse an Diskussion zu Entwicklungen auf Wohnungsmarkt

Vorderer Westen – Steigende Mieten, Luxussanierung, Umwandlung in Eigentum, Verdrängung von Altbewohnern: Betroffene solcher Entwicklungen im Vorderen Westen berichteten am Samstag bei einer Diskussion des Vereins Kassel-West im Stadtteilzentrum an der Friedenskirche über ihre Erfahrungen. Nur einen Steinwurf entfernt wird derzeit ein Altbau an der Dörnbergstraße umfangreich saniert. Der Großteil der Bewohner wurde vom neuen Eigentümer zum Auszug bewegt, die Wohnungen verkauft. Auch an der Wilhelmshöher Allee sind aktuell Bewohner zweier Mehrfamilienhäuser von Entmietungsversuchen betroffen. Aus der Südstadt waren mehrere Mieter der Rembrandtstraße in Protestwesten mit der Aufschrift „Gegen den Abriss“ gekommen. Unter den etwa 70 Interessierten der vierstündigen Veranstaltung waren überwiegend Mieter aus dem beliebten Quartier, die in Sorge wegen solcher Entwicklungen sind. Das wurde in der teils emotionalen Debatte deutlich, in der mehrere Redner der Stadt vorwarfen, zu wenig zu unternehmen, um Mieter zu schützen und einer Gentrifizierung im Stadtteil entgegenzuwirken. „Wir brauchen in Kassel eine soziale Wende in der Wohnungspolitik“, hatte Prof. Dr. Hermann Bullinger, Sozialwissenschaftler und Vorstandsmitglied von Kassel- West, gleich zum Auftakt gefordert. Stadtbaurat Christof Nolda (Grüne) sagte, die Stadt habe wenig Eingriffsmöglichkeiten in den privaten Wohnungsmarkt. „Auch wenn einzelne Projekte aus dem Rahmen fallen“, wie er einräumte, sei der Vordere Westen in seiner Struktur stabil und „gut durchmischt“. Daher komme der Stadtteil für die Wiedereinführung einer Milieuschutzsatzung nicht in Frage.

 

Aktuelles Beispiel für Verdrängung von Mietern

Aktuelles Beispiel für Verdrängung von Mietern: Das Haus Dörnbergstraße 7 wird saniert und zu Eigentumswohnungen umgewandelt. Foto: DIETER SCHACHTSCHNEIDER

 

In Frankfurt habe man damit gute Erfahrungen gemacht, berichtete Sieghard Pawlik, dortiger SPD-Stadtverordneter – auch wenn der Aufwand für die Stadt groß sei. Sechs Milieuschutzsatzungen seien zuletzt eingeführt worden. Damit sei es in Streitfällen gelungen, Mieter in ihren Wohnungen zu halten. Er wolle ermutigen, das Instrument auch in Kassel zu prüfen und dabei keine Zeit zu verlieren. Pawlik: „Es ist besser, frühzeitig tätig zu werden, als der Entwicklung hinterherzulaufen.“

Makler Dr. Hans-Jürgen Kampe (Hoesch-Kroeger-Kampe) hingegen sprach von einer „gefühlten Wohnungsnot“. Die Mieten seien in 25 Jahren um 40 Prozent gestiegen – und damit weniger stark als die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Mittelfristige Auf- und Abbewegungen bei den Mieten seien ein „vollkommen normaler Vorgang“. Nach jüngsten Zahlen betrügen die Mieten im Vorderen Westen im Schnitt 8,70 bis 9 Euro pro Quadratmeter. Damit habe man „einen moderaten Markt“.

Völlig anders das Urteil von Maximilian Malirsch vom Mieterbund Nordhessen, dessen Ausführungen immer wieder mit Applaus quittiert wurden. Gerade im Vorderen Westen habe es zuletzt eine Welle von Mieterhöhungen gegeben. Das betreffe nicht nur private Vermieter, sondern auch ehemals gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, die zum Teil „alles ausschöpfen, was rechtlich geht.“

Malirsch appellierte an die Politik, gegen den raschen Preisanstieg aktiv zu werden. Ein Problem sei auch, dass bei Neubauten immer zumindest teilweise Eigentumswohnungen vorgesehen würden – so auch an der Breitscheidstraße, wo ehemalige Offizierswohnungen abgerissen werden sollten. „Eigentumswohnungen sind das, was wir im Vorderen Westen am wenigsten brauchen“, betonte Malirsch.

Fakten zum Stadtteil

Der Vordere Westen ist der Stadtteil mit der höchsten Bevölkerungsdichte in Kassel. Die mit 40 Prozent größte Gruppe im Stadtteil sind jüngere Erwachsene zwischen 18 und 44 Jahren. Der Anteil der Kinder ist nach Angaben der Stadt in den vergangenen 10 Jahren leicht gestiegen.

Der Vordere Westen hat den stadtweit höchsten Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter (59,8 Prozent) sowie den höchsten Akademikeranteil (39 Prozent). Die Haushalte im Stadtteil sind mit durchschnittlich 1,6 Personen eher klein, viele leben aber in großen Wohnungen. Die Mieten sind seit 2009 stetig gestiegen und lagen 2017 bei 7,50 Euro (stadtweiter Durchschnitt: 6,91 Euro). Die Zahl der Sozialwohnungen im Stadtteil ist seit 2008 von 419 auf zuletzt 145 gesunken.

 

Erschienen in der HNA Ausgabe vom 24.02.2020

Von Katja Rudolph

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